Von Marcus Große

Mein Blick geht zu den Häusern, bleibt an den Balkonen hängen. Wolken spiegeln sich in den Fenstern. Welche Aussicht man wohl von da oben hat? Der jüngste Wohngebietsteil im Chemnitzer Fritz Heckert, das Stadtgebiet Hutholz-Süd, wird zuweilen als „Balkon des Heckert-Gebietes“ bezeichnet, wegen „seiner Randlage und Fernsicht Richtung Erzgebirge“. Aber jede Blickbeziehung lässt sich auch reziprok denken:

Und die Situation anders befragt: Wie schaut es sich von hier aus in die Landschaft und wie aus dieser Landschaft zurück? Ein raumästhetisches Ping-Pong.

Die Beschäftigung mit der gebauten Ostmoderne erscheint mir vorwiegend auf die Architektur selbst und den baulichen Zusammenhang in Siedlungen gerichtet, als eine Art autonomer Binnenblick. Heutige Untersuchungen zu den landschaftlichen Beziehungen sind mir ebenso wenig bekannt wie planerische Überlegungen aus der realsozialistischen Bauzeit. Allerdings bin ich auch nicht vom Fach.

Haben die Siedlungsplaner:innen und Architekt:innen damals ihre räumliche Produktion als Bestandteil der entsprechenden Landschaft mitgedacht und die entstehenden neuen (Raum-)Bilder reflektiert? Flossen Siedlungsplanung und Architektur bewusst in die Landschaftsgestaltung und -erzählung ein? Schließlich mussten sich nicht nur die Bewohner:innen an ihre neuen Wohnhäuser und Versorgungseinrichtungen gewöhnen, auch der näher oder weiter gefassten Umwelt galt es nun, das neu Entstandene in das eigene (kollektive) Gesichtsfeld zu integrieren. Die Dynamik von Heimat macht es einem oft nicht leicht.

Standortsuche einer Sichtbeziehung. Mit topographic-map.com basierend auf OpenStreetMap.

Ich beschließe, mir ein eigenes Bild zu machen: vom Heckert als Bestandteil (s)einer Landschaft, steige ins Auto und verlasse Chemnitz Richtung Süd-Ost. Es beginnt eine Art gleitender Abgleich mit Standorten und Perspektiven. Ich versuche, mein mitgebrachtes, erhofftes Landschaftsbild im Raum zu finden. Es gestaltet sich schwierig: Die vorgefundene Realität deckt sich nicht mit meiner idealisierten Vorstellung, wie ein Plattenbaugebiet sich in einer Vorgebirgslandschaft ästhetisch verhalten könnte. Wo dieses Bild herkommt, ist eine andere Frage. Landschaft entsteht im Kopf und konstituiert sich aus Bekanntem. 

Schließlich werde ich an diesem Nachmittag in Berbisdorf fündig, bzw. stell ich irgendwann fest: Besser wird’s nicht. Die Kirche ist ein guter Orientierungspunkt, um den Wanderweg mit der Fernsicht zu finden, den meine Wander-App als Erzgebirgsnordrandstufe ausweist. Fantastisch, da liegt es vor einem, eingebettet in eine sympathische Hügellandschaft – das Heckert, it’s a Match. Und sogleich beginne ich, das Gesehene abzuwägen und einzuordnen: Ist dieses Neubaugebiet nun ein Störfaktor, der die Idylle des Vorerzgebirges verhunzt oder gelingt mir die Synthese zu einem ästhetischen Ganzen? 

Besuchen auch Sie einmal Berbisdorf.

#Grüße aus dem Vorerzgebirge

Praktische Befragung eines Landschaftsbildes mit Heckert

Marcus Große
Postkarte, Text, Video, 2025